Einstimmung auf Weihnachten: Das Oberuferer Christgeburtsspiel


Es ist das Weihnachtsgeschenk des Kollegiums der Rudolf Steiner Schule Kreuzlingen an Eltern, Schüler*innen, Ehemalige und Freund*innen: Traditionell am letzten Donnerstag vor den Weihnachtsferien abends und am Freitagvormittag für die Schüler*innen führen Lehrerinnen und Lehrer, Erzieherinnen und Gastschauspieler*innen das „Oberuferer Christgeburtsspiel“ auf.


Der letzte Schultag vor den Weihnachtsferien: Alle Kindergartenkinder und Schüler*innen der RSSK sitzen in den vielen Stuhlreihen im grossen Saal, vorne die Jüngsten, hinten die Älteren. Auf der Bühne sieht es schon weihnachtlich aus: Mit brennenden Lichtlein geschmückte Tannenbäume und eine Krippe mit Stroh kündigen an, dass es bald los geht. Aufgeregt wird – wie schon die letzten Tage – spekuliert, wer wohl den Josef spielt, wer die Maria und wer ist Stichl, wer der Engel? „Ich war gestern schon da, aber ich verrat`s nicht!“, sagt eine Schülerin auf die Frage, wen ihre Klassenlehrerin Alexandra Marschall spielen wird. Ihr Nebensitzer zuckt mit den Schultern: „Ich weiss es nicht, vielleicht Maria?“ – tatsächlich ist es Spielgruppenleiterin Alissia Straussner, die in diesem Jahr Maria auf der Bühne verkörpert. Bereits als Schülerin an der RSSK freute sie sich immer auf das Weihnachtsspiel: „Das Schönste war die Spannung, welcher Lehrer was spielt. Es ist wunderbar, wenn im Vorfeld niemand etwas verrät und so die Überraschung wirklich gelingt.“ Und diese ist gelungen. Erst als die Darsteller*innen, auf die Bühne ziehen, sehen die Kinder und Jugendlichen endlich: Alexandra Marschall spielt den Hirten Gallus.

Die Lehrer*innen mal ganz anders

Seit der Gründung der Schule 1980 findet das „Oberuferer Christgeburtsspiel“ an der Rudolf Steiner Schule Kreuzlingen jedes Jahr statt. Die Geburtsgeschichte Christi ist bekannt, der Text und die Musik des Weihnachtsspiels bis auf kleine Variationen auch, umso wichtiger ist es, sagt Oliver van der Waerden, Klassenlehrer der 3. Klasse und dieses Mal als Hirte Witok auf der Bühne, „bei der Besetzung ein wenig Abwechslung zu bieten. Manche Kolleg*innen melden sich beim Regisseur oder der Regisseurin mit ihren Wünschen, andere werden vorgeschlagen, noch andere warten ab, welche Rolle für bleibt. Es ist dann ein gemeinsames Suchen, welche Zuteilung stimmig erscheint. Das letzte Wort hatte natürlich die Regisseurin“, in diesem Jahr Maria Haberstroh. Oliver van der Waerden betont ausserdem: „Bei der Aufführung für die Kinder kommt dazu, dass wir als Lehrer*innen ja für den Rest des Jahres auch immer eine Rolle auszufüllen haben und nun einmal in einer ganz anderen Rolle vor sie treten. Meistens freuen diese sich darüber. “

Grüaß'n ma unser Sternschar

Alle sind nun auf der Bühne versammelt: Engel, Maria und Josef, drei Wirte, vier Hirten und der Sternsinger. Schon zu Beginn wird klar, es wird auch lustig werden. So darf bei der ausschweifenden Begrüssung die „Sternschar“ nicht fehlen, ein an einer ausfahrbaren Holzstange befestigter Stern: „Grüaß'n ma unser sternstanga/ Daran unser stern tuat hanga./ Grüaß'n ma unser sternschar,/ Daran unser stern umanand fart“ (1)
Ernstes wechselt mit Humorvollem, „auf innige Szenen folgen eher polternde – so hat das Spiel eine recht geschickte Dramaturgie, die die Kinder auch bei tiefsinnigen Inhalten ‚bei der Stange‘ hält“, berichtet Oliver van der Waerden. Einen gelungenen Übergang zwischen den Szenen schafft die „Kumpanei“ – die Gruppe der Figuren, die nach jeder Szene durch den Saal zieht, singend erzählt und kommentiert. Die Kinder versuchen dabei den Fellumhang der Hirten zu streicheln, freuen sich besonders, wenn ihr Lehrer oder ihre Lehrerin vorbeikommt.

Ein Weihnachtsspiel mit langer Tradition

Wer zum ersten Mal beim Oberuferer Weihnachtsspiel zuschaut, dem wird wahrscheinlich die Sprache fremd erscheinen. Oliver van der Waerden erklärt: „Der Text gründet auf der Tradition in den Deutsch-Ungarischen Donaugebieten, wo solche Spiele bis ins 20. Jahrhundert hinein von den Dorfbewohnern in den Wirtshäusern aufgeführt wurden. Die heutige Textfassung mit der manchmal etwas merkwürdig anmutenden künstlich-bäuerlichen Sprache wurde von Rudolf Steiner eingerichtet und viele Jahre noch von ihm am Goetheanum inszeniert. Auch die Musik ist schon über hundert Jahre alt; hier haben wir aber in den letzten Jahren ab und zu neuere Kompositionen übernommen.“

Lustige Vorbilder: die Hirten

Mit ihrer rüpeligen, unmittelbaren Sprache sind besonders die Hirten bei den Kindern und Jugendlichen beliebt. Alissia Straussner erinnert sich an ihre Schulzeit: „Als Kind konnte ich es kaum erwarten, bis endlich die Hirtenszene kam. Die lustigen Kerle, welche uns Kinder etwas ins Publikum warfen, haben mir immer viel Freude bereitet. Auch die Musik hat man noch tagelang im Ohr, die Lieder, die Melodien, aber oft auch ganze Sätze, die in meiner Familie immerzu wiederholt wurden.“ Gleichzeitig verbirgt sich in den Hirtenszenen mehr, was man sich – nicht nur für die Weihnachtszeit – mit nach Hause nehmen kann, so Oliver van der Waerden: „Ich versuche immer nachzufühlen, was in den Hirten vorgeht, wenn sie aus ihrer bitteren Armut heraus, ein Geschenk für den ‚König der Könige‘ suchen. Sie schenken ja vor allem, dass sie ihn aufsuchen und wahrnehmen, ihn beim Gehen wieder in sich mitnehmen. Daneben bringen sie aber auch Kleinigkeiten wie ein bisschen Mehl oder einen Fellzipfel. Das hilft mir oft, die rechte Einstellung beim Besorgen der Weihnachtsgeschenke zu finden. Die Hirten schenken gerne und innig, aber ganz gelassen. Auf die Menge oder den Preis kommt es ihnen nicht an, sondern auf das, was sie mit einem Geschenk verbinden“.

Alle Jahre wieder

So stimmt das Weihnachtsspiel in jedem Jahr in seiner besonderen Art auf die Festtage ein. „Für mich kann es ohne das Christgeburtspiel nicht Weihnachten werden“, sagt Alissia Straussner. Umso schöner ist es, dass man sich an der RSSK zuverlässig auf das Weihnachtsspiel freuen kann. „Viele Schulen schaffen es in den heutigen Zeiten nicht mehr, das Spiel einzustudieren. Ich bin sehr dankbar, dass dies in unserem Kollegium immer noch recht einfach zu bewerkstelligen ist und auch die öffentliche Aufführung gut besucht ist!“, ist Oliver van der Waerden begeistert. Auch „Josef“ Markus Witzig, der in diesem Jahr zum ersten Mal dabei war, äussert sich sehr positiv, auch wenn die Proben in der Vorweihnachtszeit natürlich einen Mehraufwand bedeuten: „Ich empfinde es als eine Bereicherung mit meinen Lehrerkollegen und Lehrerkolleginnen auf der Bühne zu stehen. Es unterstreicht unser gemeinsames Engagement für die Schule und bekräftigt auch unsere innere Haltung den Kindern und Eltern gegenüber, denen wir verpflichtet sind“. Der Lohn ist ein Applaus der Kindergartenkinder und Schüler*innen, der aus ihrem ganzen Körper kommt: Klatschen, Trappeln und Johlen – eine würdige Einstimmung auf die Weihnachtsferien.

(1) https://www.waldorfschule-hagen.de/schulleben/oberuferer-weihnachtsspiele (Zugriff: 28.12.2023)
Text und Fotos: Anika Mahler

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